Gedanken zu Auto vs Motorrad

Thorsten_WAF

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andere Suzuki
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Gerade im Netz gefunden, für gut befunden und "geklaut":

Eine Erklärung von Verhalten auf dem Motorrad
So denkt der Kradist

Analog zum sinkenden Anteil von aktiven Motorradfahrern in der gesamten Fahrerpopulation häufen sich auf diesem Schreibtisch die Fragen besorgter Autofahrer zu deren Verhalten. Zur Verkehrsvölkerverständigung möchte ich hier erklärende Einblicke in die Wahrnehmungswelt der Einspurfraktion geben. Der wahrscheinlich wichtigste Punkt ist das Zeiterlebnis. Im Auto sitzt man die meiste Zeit wartend, dass der Stadtdarm einen verdaut hat und am Zielort ausscheidet. Das Bewusstsein ist bereits am Ziel oder darüber hinaus: beim Abendessen, beim Bier in der Kneipe danach, bei der Frau. Das Fahren passiert in einer Art Halbschlaf ohne große Bewusstseinsbeteiligung. Wenn durch diesen Tran ein Einspurfahrzeug in die erste Startreihe an der Ampel schießt, schreckt das zunächst aus den Träumen auf. Unerhört!

Auf dem Motorrad fühlt sich das an der selben Ampel so an: Die Autos sind im Prinzip Immobilien. Auf den Straßen zwischen diesen Immobilien ist genügend Platz, in Ruhe nach vorne zur Haltelinie zu fahren. Die Alternative wäre, den Zeitfluss dieser quasi-immobilen Dosen auferzwungen zu bekommen. Das ist wenig erstrebenswert, denn es läuft so ab: Das Licht springt auf grün. Aber es passiert nichts. Irgendwann beginnen in den Dosen die Ausgrabungsarbeiten, um das legendäre Artefakt "Schalthebel" freizulegen. Oft führen die bereits nach wenigen Stunden zum Erfolg. Der erste Gang kann eingelegt werden, das Fahrzeug rollt los. Endlich! Mit nur mit höchster Konzentration überhaupt wahrnehmbaren Geschwindigkeit eines Gletschers setzt sich der Verkehr in Bewegung. Doch schon nach wenigen Monaten stockt die Beschleunigung, fällt die Geschwindigkeit gar! Was ist los? Ach so: Der zweite Gang wird gesucht, während beim Motorrad noch die Kupplung im ersten schleift. Das dauert immer so ein, zwei Jahre, dann gleitet der Gletscherbrocken im Zweiten weiter, aber nur bis zur ersten Kurve. Auf jedem nicht völlig geraden Fahrbahnstück wird prinzipiell angehalten für ein Picknick. Durch die Dosen zu fahren erinnert mich persönlich immer daran, mit einem Jetski zwischen driftenden Eisbergen zu kreuzen.

Weg, Ziel, Kurve

Ich habe mich als Auchautofahrer oft gefragt, warum sich Fahren auf dem Motorrad so anders anfühlt, warum es in einem vollkommen anderen Zeitraster stattfindet. Selbstverständlich ärgere ich mich im Auto über Schnarcher, wie es jeder gute Bürger tun sollte, aber der Verkehr scheint sich in normaler oder zumindest erwarteter Geschwindigkeit zu bewegen.

Folglich bewege ich mich mit höchster Wahrscheinlichkeit im Auto also selber in geologischen Geschwindigkeitsmaßstäben. Woran liegt das? Früher dachte ich, das liegt bestimmt am besseren Leistungsgewicht. Diese Annahme hat sich allerdings als falsch herausgestellt. Beispiel Honda MSX 125: 10 PS, 100 kg Fahrzeuggewicht, plus 70 kg Fahrer, Helm, Jacke. Das ist selbst ohne Gepäck das Leistungsgewicht der lahmsten Kleinwagen, und trotzdem stellt sich auf der MSX dasselbe Gefühl ein. Jedes moderne Auto könnte einen ausbeschleunigen, jedes Auto ist physikalisch in der Kurve schneller, doch die Eisberge bleiben langsam. Deshalb glaube ich, die veränderte Zeitwahrnehmung resultiert daraus, dass Motorradfahren eigentlich nur wach funktioniert. Wer nicht wach ist, wird schnell tot. Und Wachsamkeit komprimiert eben die Zeit.

Die Frage "Wieso flitzt der da so durch?" lässt sich also einfach beantworten: Er flitzt in seinem Raster gar nicht, er rollt gemütlich. Den Einwand "Aber ich fahre doch schon rund 50 km/h!", möchte ich statistisch entkräften durch GPS-Messungen: Nein, du fährst 36 km/h, sobald am fernen Horizont eine Kurve erscheint. Das ist selbst beim besten Willen nicht "rund 50", das ist auf einer normalen Stadtverkehrsader nur entschuldbar durch Motorschaden oder Verwendung eines Fahrrads. Sollte ich je Verkehrsminister werden, wird ohne Grund Andere behindernd zu langsam fahren (StVO § 3, Abs. 2) mindestens genauso streng verfolgt wie innerorts zu schnell fahren. Was diese Trödler die deutsche Wirtschaft jedes Jahr kosten!

Das Zeitraster beantwortet jedoch nur zum Teil die Folgefrage "Warum müsst ihr immer so kurz vor Kurven überholen? Da seid ihr doch auch nicht wirklich früher daheim!". Wie oben gesehen ist es zunächst einmal im Sattel des Motorrads überhaupt nicht "kurz vor der Kurve", sondern die Kurve liegt noch in ferner Zukunft. Vor allem jedoch zeigt der zweite Teil das häufigste Missverständnis. Wir möchten gar nicht schnell heim. Streng betrachtet haben wir gar kein Ziel. Es geht um den Weg, es geht sehr konkret darum, diese Kurve unbehindert durchzirkeln zu können. Deshalb ist es von höchster Priorität, alles möglichst vorher zu überholen. Für die Autofahrer, die es nicht wissen: Man kann diesem Überholen durch die prinzipbedingt überlegene Kurvengeschwindigkeit des Zweispurfahrzeugs entgegenwirken. Wenn Sie in Geläuf ohne Geraden von einem Motorrad überholt werden, haben Sie einfach nicht alles gegeben.

Doch der beste, einzig wahre Weg, Motorradfahrer im Straßenverkehr zu verstehen, ist: einer sein. Es gibt kein Fahrzeug, das den Fahrer mehr über die Dynamik des Straßenverkehrs lehrt.

Erwachet!
 

GSXBergi

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So sieht es aus , gestern noch erlebt :rolleyes::boing::daumen:
 

toni.rex

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Auf den Punkt! Wer nicht selbst schon mal Motorrad gefahren ist, versteht das einfach nicht.

Da wird von Rasen und gefährlichen Überholvorgängen gesprochen, die uns auf dem Bock nur ein müdes Lächeln entlocken.

Klar gibt es die völligen Chaoten und geistesgestörten, lebensverneinenden Raser, aber die meine ich nicht.

Ich fahre gern schnell, auch meist deutlich schneller als erlaubt. Allerdings ausschließlich außerhalb von Ortschaften, bzw. Tempo 30 und 50 Zonen. Da halte cih mich dann ziemlich genau dran, weil die Beschränkungen meist einen Grund haben (Fußgänger, Baustelle, Kinder etc.)

Aber ansonsten versuche ich meist so schnell wie möglich zu sein, ohne mich und andere zu gefährden. Das bedeutet nur überholen wenn wirklich alles frei ist bzw. ausreichend Platz. Auf seinem Fahrstreifen bleiben und nicht die Ideallinie fahren usw.

Und in Motorradgebieten wie dem Schwarzwald, Vogesen, Dolos oder Sardinien wird das eigentlich immer akzeptiert und für nicht schlimm befunden (wobei es im Schwarzwald auch immer schlimmer wird).

Aber nur ein Motorradfahrer versteht unseren Genuß in den Kurven, in Schräglage. Auch eine Strecke mehrmals zu fahren, weil sie so geil war.

Und auch in für die letzte Kurve vor dem Ortseingang nochmal zu überholen, um sie frei fahren und genießen zu können.

Allerdings habe ich gemerkt, das ich durch diese Art Motorrad zu fahren, zu einem wesentlich ruhigere, Autofahrer mutiert bin. Da bin ich selbst langsam und konform unterwegs, für Moppeds wird natürlich Platz gemacht, weil man versteht ja den Kollegen auf dem Bock.

Wenn ich schnell fahren will und Spaß haben will fahre ich Mopped.

Ein entsprechendes Auto für nahezu selbige Gefühlslage kann und will ich mir dann doch nicht leisten.
 

drehstrom

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Bis auf den letzten Absatz unterschreiben ich das oben geschriebene sofort. :daumen::cool:
 

db781

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Auf den Punkt! Wer nicht selbst schon mal Motorrad gefahren ist, versteht das einfach nicht.

Da wird von Rasen und gefährlichen Überholvorgängen gesprochen, die uns auf dem Bock nur ein müdes Lächeln entlocken.

Klar gibt es die völligen Chaoten und geistesgestörten, lebensverneinenden Raser, aber die meine ich nicht.

Ich fahre gern schnell, auch meist deutlich schneller als erlaubt. Allerdings ausschließlich außerhalb von Ortschaften, bzw. Tempo 30 und 50 Zonen. Da halte cih mich dann ziemlich genau dran, weil die Beschränkungen meist einen Grund haben (Fußgänger, Baustelle, Kinder etc.)

Aber ansonsten versuche ich meist so schnell wie möglich zu sein, ohne mich und andere zu gefährden. Das bedeutet nur überholen wenn wirklich alles frei ist bzw. ausreichend Platz. Auf seinem Fahrstreifen bleiben und nicht die Ideallinie fahren usw.

Und in Motorradgebieten wie dem Schwarzwald, Vogesen, Dolos oder Sardinien wird das eigentlich immer akzeptiert und für nicht schlimm befunden (wobei es im Schwarzwald auch immer schlimmer wird).

Aber nur ein Motorradfahrer versteht unseren Genuß in den Kurven, in Schräglage. Auch eine Strecke mehrmals zu fahren, weil sie so geil war.

Und auch in für die letzte Kurve vor dem Ortseingang nochmal zu überholen, um sie frei fahren und genießen zu können.

Allerdings habe ich gemerkt, das ich durch diese Art Motorrad zu fahren, zu einem wesentlich ruhigere, Autofahrer mutiert bin. Da bin ich selbst langsam und konform unterwegs, für Moppeds wird natürlich Platz gemacht, weil man versteht ja den Kollegen auf dem Bock.

Wenn ich schnell fahren will und Spaß haben will fahre ich Mopped.

Ein entsprechendes Auto für nahezu selbige Gefühlslage kann und will ich mir dann doch nicht leisten.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 656

Guest
Gerade im Netz gefunden, für gut befunden und "geklaut":

Eine Erklärung von Verhalten auf dem Motorrad
So denkt der Kradist

Analog zum sinkenden Anteil von aktiven Motorradfahrern in der gesamten Fahrerpopulation häufen sich auf diesem Schreibtisch die Fragen besorgter Autofahrer zu deren Verhalten. Zur Verkehrsvölkerverständigung möchte ich hier erklärende Einblicke in die Wahrnehmungswelt der Einspurfraktion geben. Der wahrscheinlich wichtigste Punkt ist das Zeiterlebnis. Im Auto sitzt man die meiste Zeit wartend, dass der Stadtdarm einen verdaut hat und am Zielort ausscheidet. Das Bewusstsein ist bereits am Ziel oder darüber hinaus: beim Abendessen, beim Bier in der Kneipe danach, bei der Frau. Das Fahren passiert in einer Art Halbschlaf ohne große Bewusstseinsbeteiligung. Wenn durch diesen Tran ein Einspurfahrzeug in die erste Startreihe an der Ampel schießt, schreckt das zunächst aus den Träumen auf. Unerhört!

Auf dem Motorrad fühlt sich das an der selben Ampel so an: Die Autos sind im Prinzip Immobilien. Auf den Straßen zwischen diesen Immobilien ist genügend Platz, in Ruhe nach vorne zur Haltelinie zu fahren. Die Alternative wäre, den Zeitfluss dieser quasi-immobilen Dosen auferzwungen zu bekommen. Das ist wenig erstrebenswert, denn es läuft so ab: Das Licht springt auf grün. Aber es passiert nichts. Irgendwann beginnen in den Dosen die Ausgrabungsarbeiten, um das legendäre Artefakt "Schalthebel" freizulegen. Oft führen die bereits nach wenigen Stunden zum Erfolg. Der erste Gang kann eingelegt werden, das Fahrzeug rollt los. Endlich! Mit nur mit höchster Konzentration überhaupt wahrnehmbaren Geschwindigkeit eines Gletschers setzt sich der Verkehr in Bewegung. Doch schon nach wenigen Monaten stockt die Beschleunigung, fällt die Geschwindigkeit gar! Was ist los? Ach so: Der zweite Gang wird gesucht, während beim Motorrad noch die Kupplung im ersten schleift. Das dauert immer so ein, zwei Jahre, dann gleitet der Gletscherbrocken im Zweiten weiter, aber nur bis zur ersten Kurve. Auf jedem nicht völlig geraden Fahrbahnstück wird prinzipiell angehalten für ein Picknick. Durch die Dosen zu fahren erinnert mich persönlich immer daran, mit einem Jetski zwischen driftenden Eisbergen zu kreuzen.

Weg, Ziel, Kurve

Ich habe mich als Auchautofahrer oft gefragt, warum sich Fahren auf dem Motorrad so anders anfühlt, warum es in einem vollkommen anderen Zeitraster stattfindet. Selbstverständlich ärgere ich mich im Auto über Schnarcher, wie es jeder gute Bürger tun sollte, aber der Verkehr scheint sich in normaler oder zumindest erwarteter Geschwindigkeit zu bewegen.

Folglich bewege ich mich mit höchster Wahrscheinlichkeit im Auto also selber in geologischen Geschwindigkeitsmaßstäben. Woran liegt das? Früher dachte ich, das liegt bestimmt am besseren Leistungsgewicht. Diese Annahme hat sich allerdings als falsch herausgestellt. Beispiel Honda MSX 125: 10 PS, 100 kg Fahrzeuggewicht, plus 70 kg Fahrer, Helm, Jacke. Das ist selbst ohne Gepäck das Leistungsgewicht der lahmsten Kleinwagen, und trotzdem stellt sich auf der MSX dasselbe Gefühl ein. Jedes moderne Auto könnte einen ausbeschleunigen, jedes Auto ist physikalisch in der Kurve schneller, doch die Eisberge bleiben langsam. Deshalb glaube ich, die veränderte Zeitwahrnehmung resultiert daraus, dass Motorradfahren eigentlich nur wach funktioniert. Wer nicht wach ist, wird schnell tot. Und Wachsamkeit komprimiert eben die Zeit.

Die Frage "Wieso flitzt der da so durch?" lässt sich also einfach beantworten: Er flitzt in seinem Raster gar nicht, er rollt gemütlich. Den Einwand "Aber ich fahre doch schon rund 50 km/h!", möchte ich statistisch entkräften durch GPS-Messungen: Nein, du fährst 36 km/h, sobald am fernen Horizont eine Kurve erscheint. Das ist selbst beim besten Willen nicht "rund 50", das ist auf einer normalen Stadtverkehrsader nur entschuldbar durch Motorschaden oder Verwendung eines Fahrrads. Sollte ich je Verkehrsminister werden, wird ohne Grund Andere behindernd zu langsam fahren (StVO § 3, Abs. 2) mindestens genauso streng verfolgt wie innerorts zu schnell fahren. Was diese Trödler die deutsche Wirtschaft jedes Jahr kosten!

Das Zeitraster beantwortet jedoch nur zum Teil die Folgefrage "Warum müsst ihr immer so kurz vor Kurven überholen? Da seid ihr doch auch nicht wirklich früher daheim!". Wie oben gesehen ist es zunächst einmal im Sattel des Motorrads überhaupt nicht "kurz vor der Kurve", sondern die Kurve liegt noch in ferner Zukunft. Vor allem jedoch zeigt der zweite Teil das häufigste Missverständnis. Wir möchten gar nicht schnell heim. Streng betrachtet haben wir gar kein Ziel. Es geht um den Weg, es geht sehr konkret darum, diese Kurve unbehindert durchzirkeln zu können. Deshalb ist es von höchster Priorität, alles möglichst vorher zu überholen. Für die Autofahrer, die es nicht wissen: Man kann diesem Überholen durch die prinzipbedingt überlegene Kurvengeschwindigkeit des Zweispurfahrzeugs entgegenwirken. Wenn Sie in Geläuf ohne Geraden von einem Motorrad überholt werden, haben Sie einfach nicht alles gegeben.

Doch der beste, einzig wahre Weg, Motorradfahrer im Straßenverkehr zu verstehen, ist: einer sein. Es gibt kein Fahrzeug, das den Fahrer mehr über die Dynamik des Straßenverkehrs lehrt.

Erwachet!

Nennen mal die Quelle.
 

5-Uhr-Charlie

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